Wenn Gisela Heuser über Ihre Mutter Tilly Grote-Fleischer spricht, kommt Sie aus dem Schwärmen nicht raus. „Sie war ein herzensguter Mensch, strebsam, fleißig, stets hilfsbereit und vorbildlich. Ich habe wenige Menschen von der Größe meiner Mutter kennen gelernt“, sagt die heute 73-Jährige.
Für die Eintracht war Tilly Fleischer (rechts im Bild), die am 2. Oktober vor einhundert Jahren geboren wurde, eine Identifikationsfigur. Bereits als Kind hatte die Metzgerstochter aus der Schäfergasse in der Turnhalle am Oeder Weg geturnt, schnell aber ihre Begeisterung für die Leichtathletik entdeckt. Bereits als 14-Jährige gewann Tilly beim Feldbergfest im Sechskampf den ersten Preis, 1921 wurde sie dann Mitglied in der Leichtathletikabteilung der Eintracht. Fortan fuhr sie zwei- bis dreimal wöchentlich zum Training an den Riederwald, um Fünfkampf, Speer-, Diskus- und Ballweitwurf sowie Kugelstoßen zu üben. Darüber hinaus war sie Mitbegründerin der Frauen-Handballmannschaft der Eintracht. An die Zeit mit den Handballdamen erinnerte sich Tilly Fleischer immer gerne: „Wir hatten mit der Handballmannschaft jeden Montag unseren Handarbeitsabend. Da wurde immer bei einer anderen Mitspielerin bei Tee und Kuchen abwechselnd gehäkelt oder gestrickt.“ Überhaupt begeisterte sich Tilly Fleischer stets für das Vereinsleben am Riederwald: „Sämtliche Geburtstage wurden groß gefeiert. Es gab Kaffee und Kuchen, und wenn ich Geburtstag hatte Fleischwurst und Kartoffelsalat aus der elterlichen Metzgerei.“Anfang der 1930er Jahre gewann Tilly Fleischer mehrere Deutsche Meisterschaften im Speerwurf und in der 4x100-Meter-Staffel. Auch bei internationalen Wettkämpfen war sie erfolgreich. Tilly siegte beispielsweise bei den Frauenweltspielen in Prag 1930 (Diskus) und 1934 in London (Kugelstoßen). Ihre größten Erfolge erzielte sie aber bei den Olympischen Spielen. Bereits 1932 gehörte Fleischer zur Deutschen Delegation, die per Schiff nach Los Angeles reiste: „Wir fuhren mit der Europa, damals das schnellste Schiff der Welt, dann vier Tage mit dem Zug. In Los Angeles gab es täglich einen Dollar Taschengeld. Das langte gerade für die Briefmarken. Aber es gab täglich körbeweise Obst“, erinnerte sich Fleischer noch 2003 in einem Interview. Die gesunde Ernährung brachte den gewünschten Erfolg, mit 43,15 Metern im Speerwurf sicherte sich Tilly Fleischer die Bronze-Medaille. Der Höhepunkt Ihrer Karriere folgte vier Jahre später: Am ersten Tag der Olympischen Spiele 1936 konnte Sie ihre Bestweite noch einmal verbessern und warf den Speer auf den damaligen Olympischen Rekord von 45,18 Metern. Tilly Fleischer gewann damit die erste Goldmedaille für Deutschland. Nach diesem Triumph beendete sie ihre Leichtathletikkarriere. Bei der Eintracht bleib sie aber erfolgreich. 1943 gehörte sie zur Damenhandballmannschaft, die in Magdeburg die Deutsche Meisterschaft feiern konnte und auch als Tennisspielerin feierte sie große Erfolge. Bis 1949 war die „Königinmutter“, wie sie am Riederwald respektvoll genannt wurde, aktiv im Verein, dann zog es sie in den Schwarzwald. In zweiter Ehe mit dem Mannesmanndirektor Karl Grote verheiratet, eröffnete die umtriebige Tilly Lederwarengeschäfte in Lahr und Bad Cannstadt, später auch in Kehl. „Aber bei den kleinsten Anlässen fuhr sie in Ihr Frankfurt, um bei Festen dabei zu sein oder Freunde zu besuchen“, erinnert sich Tochter Gisela an das Heimweh der Mutter. Und nach und nach entwickelte sich Lahr im Schwarzwald auch zu einem beliebten Urlaubsziel für Eintrachtler. „Zu Sylvester war das Haus immer voll, Büro und Gästezimmer waren voll belegt. Da kamen Sportfreunde aus Frankfurt und hier wurde kräftig gefeiert.“Im Hause Fleischer war immer was los, dafür sorgten auch die beiden Töchter Gisela und Hille, die immer neue Tiere anschleppten. „Wir hatten Mäuse, und später immer mindestens zwei Hunde. Das musste die Mutter schlucken und sie hat sich damit gut arrangiert. Sie war eine lebenslustige Frau, zum Mittagessen gab es immer zwei Stück Kuchen. Einmal ging sie für ein paar Tage auf eine Schönheitsfarm. Als die Leiterin erfahren hat, wie sich unsere Mutter ernährt, hat sie gesagt: `Sagen sie das bloß keinem, da bricht unsere ganze medizinische Theorie zusammen.` Bis ins hohe Alter war Tilly Grote-Fleischer engagiert, einen letzten großen Auftritt hatte Sie beim einhundertsten Geburtstag der Eintracht 1999, als sie dem Filmemacher Wolfgang Avenarius ein Interview gab. Am 24. Juli 2005 verstarb Tilly Fleischer im Alter von 93 Jahren. Bis Heute erinnert die „Tilly-Fleischer-Eiche“ am Haupteingang des Frankfurter Stadions an den Olympiasieg der Metzgerstochter aus der Schäfergasse. Und die Eintracht-Begeisterung lebt in Lahr im Schwarzwald weiter. Da sitzt Tochter Gisela regelmäßig vor dem Fernseher und drückt die Daumen, dass die Eintracht bald wieder erstklassig ist. Spitze halt, wie die Mutter!30.09.2011